GUIDELINES
Der Commercial Court im kompakten ÜberblickGuidelines im Überblick
I. Allgemeine Darstellung
1. Staatliche Gerichtsbarkeit
Commercial Courts und Commercial Chambers sind Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland und unterliegen deshalb den Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) und des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Den Parteien großer Wirtschaftsstreitigkeiten soll ein – je nach konkreter Ausgestaltung in den Ländern – an den Bedürfnissen der Wirtschaft orientiertes, schnelles, effizientes und attraktives erst- und zweitinstanzliches Gerichtsverfahren bei einem Gericht ihrer Wahl angeboten werden.
Den Parteien kommen sämtliche – verfassungsrechtlich verankerten – Vorteile der staatlichen Gerichtsbarkeit zu Gute, wie beispielsweise das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 GG).
Ohne örtlich gebunden zu sein, können die Parteien den für ihre Rechtsstreitigkeiten aufgrund von Spezialisierungen oder aus anderen Gründen geeigneten Commercial Court als zuständig vereinbaren (§ 119b Abs. 2 GVG; § 611 ZPO). Ein mitunter zeitintensives Verfahren zur Bestellung des Schiedsgerichts (§ 1035 ZPO) ist nicht erforderlich.
Verfahren vor dem Commercial Court und den Commercial Chambers unterliegen den zivilprozessualen Regelungen der ZPO und den gerichtsverfassungsrechtlichen Vorschriften des GVG. Für das Verfahren vor dem Commercial Court in der ersten Instanz sind grundsätzlich die für das erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden (§ 610 Abs. 1 ZPO).
Damit steht den Parteien etwa ein schneller und effektiver einstweiliger Rechtsschutz (§§ 916 ff. ZPO) vor dem Commercial Court und den Commercial Chambers offen. Die Rechte der Parteien können durch einstweilige Maßnahmen vor Abschluss eines Hauptsacheverfahrens gesichert und eine zeitnahe Vollstreckung gewährleistet werden. Außerdem ist die Einbeziehung Dritter in das Verfahren (§§ 64 ff. ZPO) möglich.
Ergänzt wird dies durch besondere, auf das Verfahren vor dem Commercial Court und den Commercial Chambers zugeschnittene Regelungen, wie z.B. den Organisationstermin (§ 612 ZPO), ein mitlesbares Wortprotokoll (§ 613 ZPO) oder (bei Zulassung durch Landesverordnung, vgl. Ziff. VIII.) die Verfahrensführung in englischer Sprache (§ 184a GVG), die im Zivilverfahren ansonsten keine Anwendung finden. In Verbindung mit den ohnehin nach der ZPO bestehenden Gestaltungsspielräumen erlaubt dies eine flexible Ausgestaltung des Verfahrens vor den Commercial Courts und den Commercial Chambers, die je nach den Bedürfnissen der Parteien im konkreten Einzelfall in weitem Umfang auch an die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit angenähert werden kann.
2. Sachliche Zuständigkeit der Commercial Courts
Die sachliche Zuständigkeit des Commercial Courts im ersten Rechtszug ergibt sich aus § 119b Abs. 1 GVG und den jeweils geltenden landesrechtlichen Vorgaben. Um Spezialisierungen zu ermöglichen und dadurch eine qualitativ hochwertige Jurisprudenz anbieten zu können, können die Landesregierungen nach § 119b Abs. 1 Satz 2 GVG die Zuständigkeit des Commercial Courts auf bestimmte Sachgebiete beschränken.
Nach § 119b Abs. 1 Satz 1 GVG sind Commercial Courts grundsätzlich sachlich zuständig für Streitigkeiten mit einem Streitwert ab 500.000 Euro
- zwischen Unternehmern (Nr. 1),
- aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen (Nr. 2),
- zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats (Nr. 3).
Von der nach § 119b Abs. 1 Satz 2 GVG bestehenden Möglichkeit, die Zuständigkeit des Commercial Courts auf bestimmte Sachgebiete zu beschränken, haben die Länder in unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten ist auf die jeweiligen landesrechtlichen Verordnungen zu verweisen (siehe dazu die „Sammlung der Verordnungen“ unter Ziff. VIII.).
3. Besetzung der Commercial Courts
Der Commercial Court ist mit drei Richterinnen bzw. Richtern am Oberlandesgericht besetzt, die regelmäßig über Erfahrung und Spezialkenntnisse verfügen. Außerdem sollen die Verfahren vor dem Commercial Court eine verstärkte Konzentration auf das einzelne Verfahren ermöglichen. Den Parteien kann so ein qualitativ hochwertiges Verfahren angeboten werden.
An den Oberlandesgerichten wird vielfach durch besondere Pensen- und/oder Vorrangregelungen oder neu geschaffene Stellen sichergestellt, dass die Richterinnen und Richter der Commercial Courts diesen Verfahren ausreichende Zeitressourcen widmen können, um eine besonders beschleunigte Bearbeitung dieser Verfahren zu ermöglichen. Ergänzt werden soll dies nach der Vorstellung des Gesetzgebers durch eine regelmäßig geringere Personalfluktuation in den Senaten.
Eine Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen (§ 610 Abs. 1 i.V.m. §§ 348 ff. ZPO). Es gibt also kein Verfahren vor dem originären oder obligatorischen Einzelrichter.
4. Commercial Chambers
Daneben können bei ausgewählten Landgerichten bestimmte Zivilkammern und Kammern für Handelssachen als Commercial Chambers für ausgewählte Sachgebiete der in § 119b Abs. 1 Satz 1 GVG genannten Streitigkeiten eingerichtet werden (§ 184a GVG). Hiervon – und damit auch mit Blick auf den Instanzenzug zum Commercial Court bzw. Oberlandesgericht – haben die Länder in unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht und Commercial Chambers
- in Baden-Württemberg bei dem Landgericht Stuttgart
- in Berlin beim Landgericht Berlin II
- in Hamburg beim Landgericht Hamburg
- in Hessen beim Landgericht Frankfurt am Main
- in Niedersachsen bei den Landgerichten Braunschweig, Hannover und Osnabrück
- in Nordrhein-Westfalen bei den Landgerichten Bielefeld, Düsseldorf, Essen und Köln
eingerichtet. Wegen der landesspezifischen Einzelheiten, insbesondere zur sachlichen Zuständigkeit, zu Streitwertgrenzen, zur Verfahrenssprache sowie dem Berufungsrechtszug wird auf die jeweiligen landespezifischen Regelungen Bezug genommen (siehe dazu die „Sammlung der Verordnungen“ unter Ziff. VIII.).
II. Verfahrenskosten
Entscheidungen des Commercial Courts und der Commercial Chambers enthalten im Regelfall eine Kostengrundentscheidung (§§ 91 ff. ZPO). Das eröffnet den Parteien die Möglichkeit einer gerichtlichen Kostenfestsetzung (§§ 103 ff. ZPO) und vor allem der durchsetzbaren Kostenerstattung (§ 794 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
Die Kosten des Verfahrens vor dem Commercial Court oder einer Commercial Chamber bestimmen sich hinsichtlich der Gerichtskosten streitwertabhängig nach den Regelungen des Gerichtskostengesetzes (GKG) sowie hinsichtlich der im Unterliegensfall zu erstattenden Anwaltskosten des Gegners nach den Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) und damit auf der Grundlage eines transparenten und gesetzlich festgelegten Systems, das auch die Kostenhaftung regelt. Der für die Kostenentscheidung maßgebliche Streitwert ist zudem gedeckelt und beträgt grundsätzlich höchstens 30 Millionen Euro (§ 39 Abs. 2 GKG, § 22 Abs. 2 Satz 1 RVG), auch wenn zwischen den Parteien eine höhere Summe in Streit steht. Dies führt zu einer Begrenzung der Verfahrenskosten in Großverfahren.
III. Zugang zum Commercial Court
Die gesetzlichen Regelungen ermöglichen den Parteien einen einfachen und breiten Zugang zum Commercial Court. Der Commercial Court wird unter den Voraussetzungen des § 119b Abs. 1 GVG durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien oder durch rügelose Einlassung des Beklagten zur Sache zuständig (§ 119b Abs. 2 GVG). Außerdem kann das Landgericht eine dort anhängige Klage auf Antrag der Parteien an den Commercial Court verweisen (§ 611 Abs. 1 ZPO).
1. Vereinbarung der Parteien
Die Parteien können die Klage unmittelbar bei dem von ihnen gewünschten Commercial Court erheben, wenn sie sich ausdrücklich oder stillschweigend auf dessen – im Anwendungsbereich von § 119b Abs. 1 GVG liegende – Zuständigkeit verständigt haben. Eine solche Vereinbarung (§ 119b Abs. 2 Satz 1 und 2 GVG) können die Parteien beispielsweise in einem Vertrag oder in Allgemeinen Geschäftsbedingungen treffen.
2. Rügelose Einlassung
Haben die Parteien keine Vereinbarung getroffen und wird die Klage gleichwohl vor dem Commercial Court erhoben, wird dieser auch zuständig, wenn der Kläger dies in der Klageschrift beantragt, der Beklagte sich in der Klageerwiderung rügelos darauf einlässt und der Rechtsstreit in die sachliche Zuständigkeit des Commercial Courts fällt (§ 119b Abs. 2 Satz 3 GVG). Anderenfalls wird dessen Zuständigkeit nicht begründet und der Rechtsstreit auf Antrag an das regulär zuständige Landgericht verwiesen.
3. Verweisung an den Commercial Court
Wird die Klage schließlich in Ermangelung einer Vereinbarung zunächst beim Landgericht anhängig gemacht, kann der Rechtsstreit an den von dem Kläger bezeichneten Commercial Court verwiesen werden. Dies muss der Kläger in der Klageschrift beantragen und der Beklagte muss der Verweisung bis zum Ende der Klageerwiderungsfrist zustimmen (§ 611 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Verweisung erfolgt auch dann, wenn der Beklagte dies in der Klageerwiderung beantragt und die klagende Partei dem zustimmt (§ 611 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dasselbe gilt für eine in den Anwendungsbereich von § 119b Abs. 1 GVG fallende Widerklage oder Erweiterung des Klageantrags (§ 611 Abs. 2 ZPO). Sinkt der Streitwert unter die Streitwertgrenze bleibt die Zuständigkeit des Commercial Courts bestehen (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).
IV. Das Verfahren vor dem Commercial Court
- Allgemeines
Das Verfahren vor dem Commercial Court richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Regelungen der ZPO und des GVG. Die Kommunikation zwischen dem Gericht und den Parteien erfolgt deshalb auch hier grundsätzlich im elektronischen Rechtsverkehr. Schriftsätze sind als elektronisches Dokument einzureichen (§§ 130a ff. ZPO). In Ergänzung zu den Regelverfahren bestehen jedoch verschiedene Organisations- und Strukturierungswerkzeuge, die eine kooperative und damit zugleich effiziente und transparente Verfahrensgestaltung zwischen den Parteien und dem Gericht im jeweils konkreten Einzelfall ermöglichen.
a) Organisationstermin
In einem Organisationstermin („Case Management Conference”) trifft der Commercial Court mit den Parteien so früh wie möglich Vereinbarungen über die Organisation und den Ablauf des Verfahrens (§ 612 ZPO). Das kann beispielsweise einen Verfahrenskalender, die inhaltliche Strukturierung des Vortrags, etwaige Beweisaufnahmen und deren Modalitäten sowie weitere Verfahrensfragen betreffen. Die Parteien können damit sehr weitgehend in die Verfahrensführung und -strukturierung durch das Gericht eingebunden werden, wobei die Verfahrensleitung im Einzelnen dem oder der jeweiligen Vorsitzenden obliegt. Individuelle Lösungen sind möglich. Erfahrungen aus der Schiedsgerichtsbarkeit können auf diese Weise im Verfahren vor dem Commercial Court fruchtbar gemacht werden.
b) Wortprotokoll
Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien ist ein mitlesbares Wortprotokoll zu führen, soweit dem keine tatsächlichen Gründe entgegenstehen (§ 613 Abs. 1 ZPO). Das Wortprotokoll kann sich auf die gesamte Verhandlung und / oder Beweisaufnahme erstrecken oder auf einzelne Abschnitte (wie z.B. Zeugenvernehmungen oder die Anhörung von Sachverständigen) beschränken. Es werden also nicht wie im Regelverfahren nach der ZPO lediglich die wesentlichen Vorgänge protokolliert (§ 160 Abs. 2 ZPO). Zur ordnungsgemäßen Aufnahme des Wortprotokolls kann das Gericht geeignete gerichtsfremde Protokollpersonen (z.B. Court Reporter) zuziehen (§ 613 Abs. 2 ZPO).
c) Deutsche & Englische Sprache
Verfahren vor dem Commercial Court können auf Deutsch und – bei entsprechender Regelung durch die Länder – ganz oder auch nur teilweise auf Englisch geführt werden, wenn die Parteien dies vereinbaren oder sich der Beklagte darauf rügelos einlässt (§§ 184a, 184b GVG). Die verfahrensrechtlichen Modalitäten englischsprachiger Verfahren sind in § 184a Abs. 3 bis 5 GVG und §§ 606 ff. ZPO geregelt. Zeit- und kostenintensive Übersetzungen englischsprachiger Urkunden oder das Dolmetschen einer englischsprachigen Zeugenvernehmung gehören damit der Vergangenheit an. Zugleich können in englischsprachigen Verfahren auch deutschsprachige Urkunden vorgelegt (§ 184a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GVG) oder auf Deutsch vorgetragen werden (§ 184a Abs. 3 Satz 2 GVG).
d) Öffentlichkeitsgrundsatz & Schutz von Geschäftsgeheimnissen
In Verhandlungen vor dem Commercial Court gilt zwar grundsätzlich der verfassungsrechtlich abgesicherte Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 Abs. 1 GVG). Dieser kann jedoch zum Schutz geheimhaltungsbedürftiger Geschäftsgeheimnisse ganz oder teilweise eingeschränkt werden (§ 273a ZPO i.V.m. dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen).
e) Videoverhandlung
Organisationstermin, mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme können in geeigneten Fällen als Videoverhandlung stattfinden (§§ 128a, 284 ZPO). Auch grenzüberschreitende Videoverhandlungen durch Zuschaltung von Parteien und Rechtsanwälten aus dem europäischen Ausland sind möglich (Art. 5 der EU-Digitalisierungsverordnung).
- Mündliche Verhandlung / Beweisaufnahme
Mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme in Verfahren vor dem Commercial Court folgen den allgemeinen Verfahrensregelungen der ZPO (§ 610 i.V.m. §§ 128 ff.; §§ 284 ff.). Eine Beweisaufnahme setzt deshalb regelmäßig einen beweisbedürftigen Vortrag und einen Beweisantritt in Gestalt der gesetzlichen Beweismittel voraus.
Eine gerichtliche Beweisaufnahme setzt einen Beweisantritt voraus und erfolgt nach einer Vorprüfung der Beweisbedürftigkeit des Vortrags. Den Parteien bleibt es aber unbenommen, Privatgutachten und Beweismittel im Rahmen des Parteivortrags vorzubringen.
Die Beweisführung ist grundsätzlich – wenn nicht ausnahmsweise Glaubhaftmachung oder Freibeweis zulässig sind – nur im Rahmen des Strengbeweises mit den gesetzlich zulässigen Beweismitteln (Augenschein [§§ 371 ff. ZPO]; Zeugen [§§ 373 ff. ZPO]; Sachverständige [§§ 402 ff. ZPO]; Urkunden [§§ 415 ff. ZPO]; Parteivernehmung [§§ 445 ff. ZPO]) möglich. Die Beweisaufnahme unterliegt dem Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 355 ZPO) und kann auch mit Zwangs- bzw. Ordnungsmitteln effektiv zwangsweise durchgesetzt werden, wohingegen im Schiedsverfahren nur der Weg über die gerichtliche Unterstützung (§ 1050 ZPO) bleibt.
- Urteil
Urteile des Commercial Courts werden grundsätzlich öffentlich verkündet (§ 173 GVG) und zwar entweder unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung oder in einem besonderen Verkündungstermin (§ 310 Abs. 1 ZPO). In besonderen Einzelfällen, etwa zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (§§ 171b ff. GVG), kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.
Im Interesse der Rechtsfortbildung können zudem veröffentlichungswürdige Entscheidungen des Commercial Courts veröffentlicht werden. Dies erfolgt jedoch in anonymisierter Form und in Fällen einer nichtöffentlichen Verhandlung nach § 273a ZPO unter Ausschluss der als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen, so dass keine Rückschlüsse auf schutzwürdige Einzelheiten des Verfahrens möglich sind. Englischsprachige Entscheidungen wiederum sollen zusammen mit einer deutschen Übersetzung erscheinen (§ 608 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
V. Das Verfahren vor der Commercial Chamber
Für das Verfahren vor den Commercial Chambers gelten grundsätzlich dieselben Verfahrensvorschriften wie für dasjenige vor den Commercial Courts.Neben den allgemeinen Regeln der Zivilprozessordnung für das Verfahren vor den Landgerichten ist auch für die Commercial Chambers ein Organisationstermin (§ 612 ZPO) und ein mitlesbares Wortprotokoll (§ 613 ZPO) vorgesehen.
Im Übrigen gilt für das Verfahren vor den Commercial Chambers sowie den sich anschließenden Berufungsrechtszug u.a. – wie bei den Commercial Courts – der Öffentlichkeitsgrundsatz (§ 169 Abs.1 GVG) nebst der Möglichkeit, diesen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen einzuschränken (§ 273a ZPO i.V.m. dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen). Ebenso besteht die allgemeine Möglichkeit der Videovrhandlung (§§ 128a, 284 ZPO), ggf. auch grenzüberschreitend (Art.5 der EU-Digitalisierungsverordnung).
Die Verfahrensführung erfolgt vor den Commercial Chambers je nach landesrechtlicher Regelung (s. dazu die „Sammlung der Verordnungen“ unter Ziffer VIII.) in englischer Sprache oder nach Wahl der Parteien in deutscher und/oder englischer Sprache. In letzterem Fall gilt das Gleiche wie bei den Commercial Courts zur deutschen und englischen Sprache.
Für die Beweisaufnahme gelten die gleichen prozessualen Regelungen wie allgemein im Zivilprozess und vor den Commercial Courts. Dasselbe gilt auch für die Urteile der Commercial Chambers und ihrer Berufungsinstanz sowie deren Verkündung.
VI. Instanzen-/Rechtszug
1. Allgemeines
In Verfahren vor dem Commercial Court können die Parteien den Instanzenzug flexibel und nach ihren jeweiligen Bedürfnissen im Einzelfall gestalten. Ein zweistufiger Instanzenzug zum Bundesgerichtshof ist der gesetzliche Regelfall, wenn der Commercial Court im ersten Rechtszug zuständig ist. Verzichten die Parteien auf Rechtsmittel gegen Urteile des Commercial Courts bleibt es bei einem einstufigen Instanzenzug. Wird die Klage schließlich erstinstanzlich vor einer Commercial Chamber, Kammer für Handelssachen oder anderen Zivilkammer des Landgerichts erhoben, besteht grundsätzlich ein dreistufiger Instanzenzug.
a) Zweistufiger Instanzenzug (Commercial Court; Bundesgerichtshof)
Durch die Vereinbarung der Zuständigkeit des Commercial Courts in der ersten Instanz (§ 119b Abs. 1 und 2 GVG) können die Parteien den Instanzenzug auf eine Tatsacheninstanz und damit auf einen zweistufigen Instanzenzug (Commercial Court; Bundesgerichtshof) beschränken. Der damit gegenüber dem Regelverfahren kürzere Instanzenzug dient einer Beschleunigung der Verfahren und der schnelleren Erlangung – (vorläufig) vollstreckbarer und rechtskräftiger – Entscheidungen des in dem jeweiligen Rechtsgebiet spezialisierten und von den Parteien gewünschten Commercial Courts. Außerdem kann der zweistufige Instanzenzug den Kostenaufwand für das Verfahren reduzieren.
b) Einstufiger Instanzenzug (Commercial Court)
Durch einen Verzicht auf Rechtsmittel gegen Urteile des Commercial Courts können die Parteien einen einstufigen Instanzenzug begründen. Dies kann entweder bereits bei Vereinbarung der Zuständigkeit des Commercial Courts oder aber nach Erlass des Urteils geschehen.
c) Dreistufiger Instanzenzug (Commercial Chamber; Commercial Court / Oberlandesgericht; Bundesgerichtshof)
Schließlich eröffnet die Erhebung der Klage vor einer Commercial Chamber bei ausgewählten Landgerichten bzw. bei Zivilkammern oder Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten den Parteien mit der Möglichkeit der Berufung zum Commercial Court bzw. zum Oberlandesgericht und der Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof die Möglichkeit eines dreistufigen Instanzenzuges.
2. Zulassungsfreie Revision
Gegen Urteile des Commercial Courts besteht die Möglichkeit der Rechtskontrolle im Wege des Revisionsverfahrens durch den Bundesgerichtshof.
Gegen Urteile des Commercial Courts findet die Revision statt (§ 614 Satz 1 ZPO i.V.m. §§ 542 ff. ZPO), sofern nicht die Parteien auf Rechtsmittel verzichtet haben. Abweichend vom Regelverfahren der ZPO (§ 543 ZPO) bedarf jedoch die Revision gegen Urteile des Commercial Courts im ersten Rechtszug keiner Zulassung (§ 614 Satz 2 ZPO). Die Revision ist also nicht von weiteren und von den Parteien nicht beeinflussbaren Voraussetzungen abhängig, so dass immer die Möglichkeit der Rechtskontrolle durch den Bundesgerichtshof besteht.
Damit kann der Bundesgerichtshof seine Funktion zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in den Sachgebieten des Commercial Courts uneingeschränkt wahrnehmen. Davon profitieren auch die Parteien.
VII. Vollstreckung
Da der Commercial Court und die Commercial Chamber Teil der staatlichen Gerichtsbarkeit sind, können die Urteile im Inland wirksam und effektiv mit staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Aus rechtskräftigen oder für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteilen des Commercial Courts oder einer Commercial Chamber findet die Zwangsvollstreckung statt, ohne dass sie in einem gesonderten Verfahren für vollstreckbar erklärt werden müssen (vgl. für Schiedssprüche §§ 1060 ff. ZPO).
Dasselbe gilt auch in der Europäischen Union (Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO). Urteile des Commercial Courts oder der Commercial Chamber sind in den anderen Mitgliedstaaten ohne besonderes Verfahren und damit unproblematisch vollstreckbar. Insbesondere bedarf es keiner Vollstreckbarerklärung.
VIII. Sammlung der Verordnungen
Baden-Württemberg: Zuständigkeitsverordnung Justiz
Bayern: Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz
Berlin: Commercial Court Verordnung
Bremen: Bremische Commercial Court Verordnung
Hamburg: Commercial-Court-Verordnung
Hessen: JuZuV
Niedersachsen: Niedersächsische Commercial-Court-Verordnung
Nordrhein-Westfalen: Commercial-Court- und Commercial-Chambers-Verordnung);
